MUNGENAST cs GMBH
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MAG. ART. BARBARA MUNGENAST ist mit ihrem Unternehmen seit 1990 im Corporate Design tätig.
Das Corporate Fahion-Label LES DEUX brachte sie bis 1997 mit Partnerin Anne Beck auf den Markt.
Lehrtätigkeiten auf der Kunstuniversität Linz und auf der TU Graz folgten. Schwerpunkte des Unternehmens liegen im Fashiondesign und in der grafischen Mediengestaltung.

Seit 2010 arbeiten Barbara Mungenast und Rainer Stock gemeinsam an Kunst- und Werbekonzepten unter THE MUST.

 

www.themust.at

barbara.mungenast.at

 

Das Spiel mit dem ganz normalen Wunderkind


Ein Versuch, den Menschen Wolfgang kennen und vielleicht lieben zu lernen:
Musik aus > das runde, glatte, süßliche Mozartkugelimage ablecken >
und dem Ungeheuer in die Augen sehen >


Ein Ausstellungskatalog sollte es werden, ein Buch zum Durchschauen und Erinnern,  viel später, wenn man die Mozartausstellung im Kindermuseum Zoom im Museumsquartier Wien bereits hinter sich gelassen hatte. Einen bleibenden Eindruck wollen sie hinterlassen, die Kuratoren, Unvergesslichkeit erlangen durch Neuauflage eines Unsterblichen. Probates Mittel nach dem Motto „Du bist was du isst“ „Du bekommst die Aura dessen, mit dem du dich befasst“. Ein hoher Anspruch allemal. Aus heutiger Sicht, nachträglich, kaum zu schaffen.

Schlaflose Nächte: wird’s reichen?

Die Unsicherheit hielt sich bis zum Fertigwerden: Wird’s funktionieren? Wird die Spannung, die ich mit diesem Thema verbinde rüberkommen? Ziehts die Kids rein, oder lässt es sie kalt? Ist zu viel trockene Geschichte drin oder drängt doch das Abenteuer in den Vordergrund? Kommt es seriös und authentisch rüber oder nur als Witzelei und oberflächliche Fingerübung?
Erst am Ende fügen sich die Puzzlestücke zu einem Ganzen und es zeigt sich, ob die Komposition der vielen Ebenen im Kopf auch am Papier funktionieren würde.


Das wunderbare Normale oder Ehrfurcht macht tot

Ich schaffe mir eine Eselsbrücke: Das ganz Normale. So kommt mir auch der Ausstellungstitel in den Sinn: Wolfgang Amadé – ein ganz normales Wunderkind. Das Geniale, Wundersame am 5jährigen Wolfgang soll nicht an Hochachtung verlieren, nein, ganz im Gegenteil, ich vergegenwärtige mir nur auch das ganz normale Kind dahinter. Auch war es Ziel der Ausstellung, Eltern wie Kindern klarzumachen, dass in jedem von uns etwas Außergewöhnliches schlummert, das es zu entdecken und zu fördern gilt. Die Ausstellung wollte die Besucher nicht als kleine Deppen rausmarschieren lassen, sondern inspiriert und aufgebaut.

Die Ideen zum Buch

Rasch war klar, dass der Katalog ein Buch sein muss, das sich für den Betrachter auch ohne Ausstellungsbesuch erschließt. Und: Kinder sind die Adressaten, nicht die Eltern allein. Selbstverständlich war auch eine CD mit angedacht, mit Musik und virtueller Mozartwelt, man ist ja heute gewohnt, den Verbrauchern kompakte 10-Euro-Multifunktionslösungen für ihre Lebenswelt hinzuknallen. Keine DVD ohne fünf Sprachen, keine Plastikdrinkflasche ohne Schnelldrinkverschluß mit Antisabbergarantie, kein Handy ohne zig Funktionen. Der Variantenreichtum und das Können unserer täglichen Begleiter überfordert täglich und macht uns schwach und klein. Mit diesem Bauchgefühl schob ich Anfragen zu CD mit einem langgezogenen Jaaa, Jaaa hinaus, hatte nie vor sie zu machen und konzentrierte mich aufs Buch.

Der Aufbau des Buches:


1. DER KNOCHENBAU – DAS ROKOKO

Die Lebenswelt der Mozarts, ihre Kultur und aus heutiger Sicht skurillen Gewohnheiten waren es, die mich besonders in den Bann zogen. Wie man sich im Rokoko, wusch, das Essen, die Werte der Menschen und ihre Einstellung, die Höflichkeitsformen und die Spiele oder die Erziehung der Kinder.  Originale Bilddarstellungen der Zeit zeigen aufs Trefflichste detailverliebt die Szenerien. Ich legte die satten, dichten Bilder tagelang am Boden auf um in die Zeit hinein zu tauchen. Ich war baff und belustigt bei der Vorstellung Angst vor dem Wasser zu haben, die Zähne mit Sand und Salbei abzureiben, mit dem Kleid (am Saum beschwert mit Blei natürlich) zu baden, zu stinken oder Mehl in die Haare zu stauben. Schiffchen und Obst im Haar zu drapieren, keine Unterhosen zu tragen aber viele Röcke übereinander, oder mit einem ausladenden Reifrock durchs Haus zu wandern. Wie kam man durch die Türen? Die Eltern zu siezen, vor dem Kaiser rückwärts zu gehen um ihm nicht den Rücken zuzuwenden – dabei hinzupurzeln. Oder irrsinnig viel zu Essen, bis man umfiel. Das muss doch auch Kindern Spaß machen, diese Zeit kennen zu lernen.
Authentizität war mir wichtig, Kinder sind genau und sehr ernst zu nehmen. Also war es nahe liegend die Mozartzeit mit Originalbildern –heute würde man Fotos nehmen – darzustellen. Die Rokokoschinken stehen einem Ali-Mitgutsch-Wimmelbild um nichts nach.


2. DAS FLEISCH – WOLFERL UND SEINE FAMILIE

Die Geschichte des Kindes Wolfgang im Speziellen ist einzigartig und auch für Kinder interessant: Wie lebten die Mozartischen? Und Wolfgang mit der Musik? Was machte sein Genie aus? Sein spielerisches, vielfältiges Wesen mit Witz, Fleiß und Charme.  Er hatte die Gabe als bürgerlicher freier Künstler zwischen den Lebens- und Arbeitswelten gekonnt hin und her zu switchen: Ob beim Wunderkind-Auftritt bei Hof, vor dem Klerus oder im ausgelassenen Spiel mit bürgerlichen Freunden wie beim Kartenspiel in ärmlichen Spelunken auf Reisen. Er funktionierte früh in verschiedenen Sprachen und Kulturen. Diese Vielschichtigkeit und behände Anpassung braucht Intelligenz. Und genau das nehmen wir doch auch als Anforderung an unsere Kinder heute wahr: Schon die Jüngsten müssen sich in den verschiedensten Foren behaupten: In der Familie, in Kindergarten oder Schule, im Internet mit den vielen Regeln unterschiedlichster Spiele und Kommunikationsformen. Diese Themen waren und sind heute brandaktuell – nur die Ausformung hat sich verändert.

Wolferl war sieben Jahre alt, als er zur großen 3-jährigen Reise durch Europa aufbrach. In einem Würfelspiel erleben die Spieler sein Schicksal: Erfolge wie gelungene gut bezahlte Konzerte und feine Essen erlauben es Felder vorzurücken, Rückschläge wie Krankheiten, hinderliches Regenwetter oder ein gebrochenes Wagenrad zwingen zurück. Auch darf man seinen Nachbarn küssen oder einen Purzelbaum schlagen.

3. DER LEBENSSAFT – AKTUALITÄT, ESPRIT & POWER

Der Wahnsinn des kleinen Wolfgangs, der kaum vom Klavier weg ins Bett zu kriegen war, ist doch vergleichbar mit der Attraktion der Computerspiele/des Webs von heute. Die Kinder entwickeln hier ungeahnte Phantasien und ein Können, das der Elterngeneration fremd ist. Somit sitzen wir heute – ähnlich wie die Mozarteltern als sie den 5-jährigen als genial erfuhren – vor kleinen Krokodilen, die uns irgendwie sehr fremd erscheinen. Das Interesse der Kinder so zu kanalisieren, dass sie die Inputs positiv kreativ umsetzen und nicht passive Opfer des Web- und TV-Schrotts werden, ist die Kunst.  Leopold Mozart schaffte es vortrefflich, das Genie seines Sohnes in Bahnen zu lenken, er ging seinen jungen Weg mit ihm gemeinsam und verstand es ihn zu fordern und zu fördern.

Aktuell meint die Kraft einen Leser zu treffen, zu kratzen, in den Bann zu ziehen. Vergleiche anzustellen, Gewohnheiten zu hinterfragen und Blickwinkel zu ändern.
Das ganz Normale unter die Lupe zu nehmen, dem Banalen Bedeutung schenken.

So stellte ich der realistischen, detailverliebten Malerei des barocken Alltags pointierte comichafte witzige Skribbles von Nadia Budde gegenüber. Die Figuren und Texte klatschen auf den Bildern einfach drauf, gehen auf Tuchfühlung. Die schwermütige Distanziertheit zu dieser Zeit hebt sich damit auf, man geht quasi Schulter an Schulter mit ihr. Der spontane Duktus der Illustrationen und ihre direkte Fröhlichkeit überraschen genau in diesem Kontext wo im meist harten barocken Alltag Strenge und Einfachheit,  Reglements (Ständeordnung und Politik)  sowie formale Ordnung (Rocaille) die Regel waren. Buddes Gesichter sind alles andere als schön, schon am Cover schmunzelt einem ein glubschaugiger, knollnasiger Mozart entgegen, der im nächsten Moment als Krokodil seine Zähne bleckt. Ist doch gewissermaßen auch entlastend, wenn sämtliche Figuren in einem Buch viel hässlicher sind, als man selbst ist. Zig Individuen mit vielfältigsten Gemütern, differenzierten Rollen und menschelnden Gefühlen bevölkern das Buch, ein lebendiges Treiben zu dem man sich gerne dazugesellt. Die Figuren kommunizieren auch verbal: Die Autorin Sigrid Laube lässt sie immer wieder ganz unverblümt mit uns sprechen. Sie sagen einfach, was sie sich denken – ein sympathischer Zug.


Mozart: leidenschaftlicher Spieler und Spaßvogel

Kinder, die wie satte Babys, wohlstandsverwahrlost und mit Reizen überfüllt, selbst passiv, ungeheure Zuwendungen und Leistungen von anderen einfordern, sind mir ein Greuel. Selbständiges Denken, kreative Ideen und Freude an eigenem aktiven Schaffen möchte ich mit den roten Seiten der Spiele, Anleitungen und Experimente ankicken. Mädchen wie Buben sollten ihre Interessen wieder finden. Einfach dargestellt, knapp erklärt in werblichem Gelb auf Rot. Auf jeden lilafärbigen Themenbereich folgen rote Aktivitätsseiten. So entsteht im Buch ein eigener Takt, eine Dynamik zwischen Ruhe und Aktivität, piano, forte und crescendo folgen aufeinander. Die Spiele und Experimente versuchen unterschiedlichste Thematiken zu beschreiben und sind frei assoziativ zugeordnet. Ich suchte aus einer Menge Experimente einfach diejenigen aus, die mir klar und einfach zu erklären erschienen und insgesamt eine breite Palette an Themen abdeckten.


Spaß & Spiel

Wolfgang war leidenschaftlicher Spieler, er beherrschte an die 100 Spiele, alleine an die 69 Kartenspiele. Europäisch vielsprachig aufgezogen war er wort- und wortwitzgewandt. Derbe Sprüche und Reime, sowie die Mozartische Geheimsprache waren an der Tagesordnung im Briefverkehr. Mit seinen Sprüchen auf rocailleartigen Würsten wird der Leser vorne wie hinten empfangen (ich blättere gerne von hinten los) und ins Buch hereingesaugt. Wolfgang spielte mit den Silben, schrieb von hinten nach vorne, mischte die Sprachen und verdrehte Buchstaben zur Geheimsprache MALEFISOHU was aufgrund seines Streits mit dem Grafen Colloredo auch nötig war. Jedes Kind sucht gerne die Grenzen des verbalen Anstands, übt Frechheiten, liebt Geheimnisse, versucht sich in der Zitronenschrift und entwickelt eigene Codes und Geheimschriften. Hier kann man jeden abholen.

Spieleklassiker wie Tempelhupfen, Seifenblasen, Dosengehen, Kegeln, Zielschiessen, Kreiseln, Federball, Quartett,  Schattentheater, Rollenspiele, Schminken & Verkleiden sind heute noch genauso beliebt, wie damals. Dieses Bewusstsein „Er machte das auch“ schafft eine Nähe zum kleinen Wolferl und macht ihn greifbarer.
Das Buch soll wieder die einfachen und kommunikativen Spiele in unser Blickfeld rücken und Nintendo, Console & Co im Regal stehen lassen.
Das Erkennen fein nuancierter Klänge unterschiedlicher Wassergläser zum Beispiel oder die hohen Töne gespannter Gummiringe-Saiten braucht genauso Ruhe und Konzentration wie das Telefonat übers Joghurttelefon oder kein Fehler im Reise-Memory. Auch die Frage nach den liebsten Dingen ist nicht im Vorbeigehen zu lösen.
Das berüchtigte barocke Skandalspiel „Wadenmessen“ bringt kitzelige Kinder zum Lachen und Hochzeitsgesellschaften auch heute noch in Höchstform.

Die Wissenschaft
Simple Versuche, die den Stand der Wissenschaft des Barock verdeutlichen, können mit alltäglichem Zubehör aus Mutters Küchenlade durchexerziert werden.
Ganz normale einfache Experimente aus Musik, Biologie oder Physik zeigen verblüffende Wirkung. Des Rätsels Lösung, das Warum erklärt jeweils den Sachverhalt. Auch hier soll nicht das Mäntelchen der Zauberei ausgebreitet sein, sondern die Kinder sollen die Chance bekommen, die Dinge zu verstehen zu lernen:
Wo liegen die Geschmäcker auf der Zunge?
Was ist ein Regenbogen?
Warum lässt sich ein neues Marmeladeglas schwer öffnen?
Wie baue ich mein eigenes Barometer?
Wer sieht den Magnetismus?

Und was mach ich, wenn ich meine wilden Krokodile nicht mehr bändigen kann?
Sie müssen mir im Haushalt helfen und dürfen mitkochen. So zum Beispiel ein barockes Originalrezept: „Gebackenes Heu und Stroh“.

Ein Glück, erfolgreich sollte es werden, das Mozartbuch und viele Preise bringen:
Österreichischer Staatspreis für Buchgestaltung 2007
Printissimo Jurypreis 2007
Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis, Frankfurt 2007, Sparte Sachbuch
Printersclubaward 2006
Golden Pixel Award 2006
Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien 2006


Barbara Mungenast 2005
2 Kinder: Nepomuk (9) und Charlotte (6)